47. Tag - Fazit

47. Tag - Fazit

English Version below

Langsam kommt es bei mir an, dass ich es tatsächlich bis hierher, nach Lissabon, geschafft habe.

(Dank an Martin für die Gesamtstrecke 🙏)

Nach mehr als 4.200 km auf allen möglichen Wegen; von den flachen Strecken in Deutschland und Holland (wirklich ein Radfahrertraum), über Belgien und den Norden von Frankreich (rauf und runter und an den Soldatengräbern vorbei). Eintauchend in die Île-de-France, Paris umgehend mit Fontainbleau und Provins, um dann südwärts über Orleans, Tours nach Bordeaux an die Atlantikküste mit der Dune du Pilat zu fahren. Bei Irun zum ersten Mal spanische Straßen unter mir gehabt, landeinwärts über die Pyrenäen in den Wolken auf fast 1000 m Höhe hinauf gekämpft, um dann länger dem Jakobsweg, dem alten Pilgertrail, zu folgen. Pamplona und der kurze Abstecher zur Siemens Gamesa und weiter nach Burgos. Dann, mit dem Schwenk nach Osten, das spanische Hochland, mit fantastischer Landschaft und der Challenge vor Madrid den 1800 m Pass zu bezwingen, um als Lohn dann nach Madrid "einzufliegen" und ein paar Tage die geschundenen Muskeln zu regenerieren.

Der Neuaufbruch nach Madrid und der Nordwestschwenk durch die spanische Wellenlandschaft. Wieder in den Bergen die Grenze nach Portugal überquert und der Abstecher zu Joao bei Sao Pedro do Sul. Der Felgenbruch, der mich mit sehr gemischten Gefühlen hat weiter fahren lassen, bevor ich in Coimbra auf eine "neue" Felge umspeichen konnte. Und dann das Finale, wieder an die Atlantikküste und das neuerliche Erstaunen über die vielen Höhenmeter, die mich zurück ins Landesinnere getrieben haben.

Finally, finally ... nach dem letzten Berg die Einfahrt nach Lissabon, vorbei am Flughafen, um dann am Ziel meiner Träume zu sein: dem Rossio, dem Praca do Comercio, dem Belen Turm und dem Seefahrerdenkmal.

Ich habe es wirklich geschafft, jeden einzelnen Meter mein Rad und das ganze Equipment darauf vorangetrieben. Unzählige Höhenmeter nach oben gestrampelt und manchmal auch die folgende Abfahrt genossen. Insgesamt 46 Reisetage mit 39 Tagen auf dem Rad, also ziemlich gut meine Vorhersage, im Schnitt etwas mehr als 100 km pro Radtag zu machen, umgesetzt.

Auf guten wie auch auf schlechten Campingplätzen die heiße Dusche nach meinem Arbeitstag gefeiert und das Bier danach die durstige Kehle hinuntergestürzt. Aber schöner waren die Momente, die ich allein in der Wildnis mit meinem alten Zelt, ausgerüstet mit 7L Wasser und Proviant für den Abend und den Morgen, der Natur gelauscht und meinem Herrgott gedankt habe, dass ich in seine Schöpfung eintauchen durfte. Ich habe bestimmt gestunken wie ein Eber, auch die Mini-Dusche hat daran nichts geändert, aber ich war ja allein.

Diverse Städte und Ortschaften habe ich durchquert oder besucht, oft einen winzigen Eindruck von dem Leben der Menschen erhascht und mich über einen freundlichen Gruß gefreut. Und die Menschen, die mich aus dem Nichts eingeladen haben, die mit mir Zeit oder sogar ihr Haus geteilt haben, Sebastien und Rebecca, der Tee von Corinne und Oliver, die unglaubliche Saulus - Paulus Geschichte von Frank, die kurze Begegnung mit dem älteren holländischen Radlerehepaar vor dem Berg, das fröhliche Wiedersehen mit Francisco und Joao & Family, die Familienfeiern von Joao, die Einladung zum Bier von einem alten portugiesischen Ehepaar auf der Strecke, mein Radheld in Coimbra. Gar nicht so sehr viele Begegnungen, aber alles in Erinnerung bleibende Begegnungen.

Ich bin diverse Male gefragt worden (und habe mich das selbst hundertmal gefragt, spätestens bei den Aufstiegen, aber auch wenn ich Nachts mit Krämpfen aufgewacht bin), warum ich diese Reise überhaupt mache; was hat mich dazu getrieben?

Und die Antwort ist wie immer vielschichtig.

Zunächst einmal habe ich jetzt einfach die Zeit zwischen der alten Arbeitsaufgabe und bevor im August die neue Aufgabe beginnt. Und da ich kein Mensch bin, der einfach nur die Hände in den Schoß legt, wollte ich etwas anstellen, wofür man einfach etwas Zeit braucht - eine lange Reise kommt da gerade recht. Und eine Radreise hat gerade das richtige Tempo, um ein Land zu "erfahren" ohne darüber hinwegzufliegen, mit der Chance auch mit den Menschen in Kontakt zu kommen. Ein Radreisender ist eigentlich immer ungeschützt - außer dem Drahtesel und dem Gepäck hat man ja nichts dabei und ist auf die Unterstützung, die Hilfe von den Locals angewiesen. Und ich habe nicht ein einziges Mal eine gerunzelte Stirn oder gar eine Ablehnung erfahren. Sondern immer ein aufmunterndes Lächeln und Hilfsbereitschaft. - Meine Zeit für mich genutzt!

Zum anderen bin ich ja nun wirklich in einem Alter, wo man nicht mehr so 100 % weiß, was die nächsten Jahre bringen, mein Bandscheibenvorfall letztes Jahr war da schon deutlich. Und die Frage stand im Raum: Was kann ich als langsam älter werdender Mann noch wuppen? Mir hat mal vor einigen Jahren jemand gesagt: "Rüdiger, mit deiner China-Radtour hast du deinen Drachen erledigt". Darauf bezogen, dass a) mein Name aus der Nibelungensage stammt (Siegfried tötet den Drachen) und b) junge Menschen (Männer) irgendwo auch immer ihre Initiationschallenge bewältigen müssen. Ein Motiv, das sich durch so viele Kulturen, Sagen und Geschichten hindurchzieht.

Die Frage, die ich mir beantworten wollte, war also irgendwie: Kannst du noch einmal einen Drachen zur Strecke bringen? Nicht mehr mit der Ungestühmtheit der Jugend, sondern mit der Erfahrung eines dreiviertel Menschenlebens. - Ja, ich kann!

Und zu guter Letzt: ich hab diese Fahrradreise Hamburg - Lissabon ja schon einmal versucht. Im zarten Alter von 19 Jahren, gleich noch dem Abitur 1987. Leider musste ich damals irgendwo in Frankreich das ganze Unternehmen abbrechen, weil ich krank wurde. Da gab also noch eine unerledigte Challenge. Meinen Frieden hatte ich schon lange mit dem Stopp der Reise gemacht, aber irgendwo lebte dieser Traum noch 37 Jahre in mir weiter. Komisch, oder? Da gibt es scheinbar in uns (in jedem) noch unerledigte Träume, die darauf warten noch einmal angegangen und zu Ende gebracht zu werden. Und wer mich kennt, der weiß, dass ich Gelegenheiten beim Schöpfe packe; wenn nicht jetzt, dann nimmermehr - Challenge accomplished!

Und jetzt bin ich hier am Ziel, in Lissabon, und komme zur Ruhe und kann alles sacken lasen. Kann einige der Eindrücke noch einmal vorbeiziehen lassen und mich daran freuen. Und es breitet sich eine ganz sanfte innere Ruhe aus. Eine Dankbarkeit, dass alles gehalten hat oder ich es wieder reparieren konnte. Das Adrian die Idee mit der Drohne hatte und der Blog funktioniert hat (das war echt viel Arbeit!). Das ich keine Verletzungen bekommen habe oder durch ein Auto in den Straßengraben abgedrängt worden bin. Eine schützende Hand lag über mir.

Es ist alles gut, ich bin ganz bei mir.

Noch ein letztes Mal ein Video 😀. Wie immer: Geduld ....

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Meine Rückkehr ist bereits organisiert und gebucht; am Mittwochabend landet der Flieger samt Fahrrad in Hamburg - so schnell geht die Strecke eben auch.

Danke, dass ihr mich von überallher in Gedanken oder mit kurzen Nachrichten begleitet habt, das war wichtig!

Und danke auch an Heike, dass Du es ausgehalten hast, dass ich diese Reise machen konnte.

Wir sehen uns wieder, wann und wo auch immer sich unsere Wege kreuzen.

Euer Rüdi

English Version

It's slowly sinking in that I've actually made it here, to Lisbon.

After more than 4,200 km on all sorts of routes; from the flat stretches in Germany and Holland (really a cyclist's dream), through Belgium and the north of France (up and down past the soldiers' graves). Diving into the Île-de-France, Paris bypassing Fontainbleau and Provins, then heading south via Orleans, Tours to Bordeaux on the Atlantic coast with the Dune du Pilat. At Irun I had Spanish roads beneath me for the first time, fought my way inland over the Pyrenees in the clouds up to almost 1000 m altitude, then followed the Way of St. James, the old pilgrimage trail, for a longer period. Pamplona and the short detour to Siemens Gamesa and on to Burgos. Then, turning east, the Spanish highlands, with fantastic scenery and the challenge of conquering the 1800 m pass before Madrid and then, as a reward, "flying into" Madrid and regenerating the battered muscles for a few days.

The new departure to Madrid and the northwest turn through the Spanish wave landscape. Crossing the border into Portugal again in the mountains and the detour to Joao near Sao Pedro do Sul. The rim breakage, which made me continue with very mixed feelings before I could change spokes to a "new" rim in Coimbra. And then the finale back to the Atlantic coast and the renewed amazement at the many meters of altitude that drove me a little inland again.

Finally, finally ... after the last mountain, the entrance to Lisbon, past the airport, to then be at the destination of my dreams: the Rossio, the Praca do Comercio, the Belen Tower and the sailor's monument.

I really managed to push my bike and all the equipment on it myself every single meter. I pedaled up countless meters of altitude and sometimes enjoyed the descent that followed. A total of 46 days of travel with 39 days on the bike, so my prediction of doing an average of 100 km per day was pretty well realized.

I celebrated the hot shower after my day at work at both good and bad campsites and then downed the beer. But the moments that were more beautiful were those when I was alone in the wilderness with my old tent, equipped with 7 L of water and provisions for the evening and morning, listening to nature and thanking God that I was allowed to immerse myself in his creation. I must have stank like a boar, and the mini shower didn't change that, but I was alone.

I crossed or visited various cities and towns, often catching a tiny glimpse of people's lives and being happy to receive a friendly greeting. And the people who invited me out of nowhere, who shared time or even their house with me, Sebastien and Rebecca, the tea from Corinne and Oliver, the incredible Saul - Paul story from Frank, the brief encounter with the older Dutch cycling couple in front of the mountain, the happy reunion with Francisco and Joao & family, the family celebrations from Joao, the invitation for a beer from an old Portuguese couple on the route, my cycling hero in Coimbra. Not that many encounters, but all encounters that will stay in my memory.

I have been asked several times why I am doing this trip in the first place, what drove me to do it?

And the answer is, as always, complex.

First of all, I now simply have the time between my old job and before the new job begins in August. And since I am not the kind of person who just sits with my hands in my lap, I wanted to do something that simply takes some time - a long trip is just right for that. And a bike trip is just the right pace to "experience" a country without flying over it, with the chance to come into contact with the people. A bike tourist is actually always unprotected - apart from your bike and your luggage, you have nothing with you and are dependent on the support and help of the locals. And I have not once experienced a frown or even rejection. Instead, I have always had an encouraging smile and a willingness to help. - I used my time for myself!

On the other hand, I am now at an age where you no longer know 100% what the next few years will bring. My slipped disc last year was already obvious. And the question was: What can I still manage as a slowly aging man? Someone once said to me a few years ago: "Rüdiger, you killed your dragon with your China bike tour." In reference to the fact that a) my name comes from the Nibelungen saga (Siegfried kills the dragon) and b) young people (men) always have to overcome their initiation challenge somewhere. A motif that runs through so many legends and stories. So the question I wanted to answer was somehow: Can you kill a dragon again? No longer with the impetuosity of youth, but with the experience of three quarters of a human life. - Yes, I can!

And last but not least: I have already tried this Hamburg - Lisbon bike tour once. At the tender age of 19, just after graduating from high school in 1987. Unfortunately, I had to abandon the whole venture somewhere in France because I got sick. So there was still an unfinished challenge. I had long since made my peace with stopping the trip, but somewhere this dream lived on in me for another 37 years. Strange, isn't it? There seem to be unfinished dreams in us (in everyone) that are waiting to be tackled and completed. And anyone who knows me knows that I seize opportunities when they come; if not now, then never - challenge accomplished!

And now I am here at my destination, in Lisbon, and I can relax and let everything sink in. I can let some of the impressions pass by again and enjoy them. And a very gentle inner calm spreads, a gratitude that everything held or that I was able to repair it, that I was not injured or pushed into the ditch by a car. A protective hand was over me.

Everything is fine, I am completely at peace with myself.

My return is already organized and booked; on Wednesday evening the plane and bike will land in Hamburg - that's how quickly the journey goes.